Der Waschfrauen-Weg von Perugia (il sentiero delle lavandaie)
Im Osten von Perugia gibt es den sog. Waschfrauen-Weg, ein Wanderweg mit interessantem geschichtlichen Hintergrund. Er führt vom östlichen Stadttor Porta della Pesa bis an den Tiber hinab, der dort unten auf seinem Weg nach Süden in einer Rechtskurve um das kleine Örtchen Pretola herum fließt.
Im 19. Jahrhundert trafen sich in Pretola am Tiber die Waschfrauen von Perugia und Umgebung, um im bzw. am Tiber, zwischen zwei Schleusen, die Wäsche der Wohlhabenden der Stadt und der öffentlichen Institutionen zu waschen. Pretola war vom 19. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre eine regelrechte Freiluft-Wäscherei für die Stadt Perugia.
Die Waschfrauen benutzten diesen Weg sozusagen als Abkürzung, denn die großen Ochsenkarren, die die Wäsche transportierten, mussten eine viel längere befahrbare Straße benutzen, um von jenem Stadttor nach Pretola zu gelangen.
Aber Pretola war in jener Epoche noch viel mehr als das: Es entwickelte sich ein regelrechtes Netzwerk, welches verschiedene Berufsgruppen, die in irgendeiner Weise an den Tiber gekoppelt waren, optimal miteinander verband. Und hier war der Waschfrauen-Weg von Perugia damals von großer Bedeutung.
Der Tiber
Der Tiber ist 405 km lang, entspringt dem Monte Fumaiolo im Apennin, an der Grenze zwischen Toskana und Marken, fließt ganz kurz durch die Toskana und dann durch ganz Umbrien und Lazio und mündet bei Fiumicino und Ostia im Westen Roms in das Tyrrhenische Meer.
Er hat über Jahrtausende viele Völker erlebt und unzählige Geschichtsereignisse geprägt. Nach der Ära der Etrusker und Umbrer waren die Ufer entlang des Tibers stets mit Burgen und befestigten Siedlungen bevölkert.
Pretola
Diese kleine Ortschaft liegt wenige Kilometer östlich der Stadt Perugia und zählt etwa 1000 Einwohner. Oberhalb und unterhalb von Pretola gab es im Tiber zwei Schleusen, wovon heute nur noch spärliche Reste der einen in der Nähe des Wachturms erhalten sind.
In unmittelbarer Nähe dieser Schleuse befand sich früher auch eine wohl von Mönchen erbaute Getreidemühle.
Diese war durch den großen Hügel in Richtung Perugia und durch die doch weit entfernten Brücken über den Tiber vor feindlichen Angriffen relativ geschützt. Dennoch ließ zwischen 1367 und 1370 die damalige Herrscherfamilie Boccoli zum Schutz der Mühle und der eigenen Häuser (die sich in unmittelbarer Nähe der Mühle befanden) noch zusätzlich einen Wachturm errichten.
Die Besitztümer samt Mühle gerieten im nachfolgenden Twist zwischen den Armen und den Reichen in die Hände des berüchtigten Adligen und Anführers Braccio Fortebraccio, der 1410 sämtliche Häuser und Villen Pretolas vernichtete und die Mühle völlig niederbrannte. Der Wachturm blieb verschont. Man kann ihn aber nur von aussen besichtigen.
Das Netzwerk von damals (1900-1950)
Die Steinbrucharbeiter
Der Tiber soll damals in dem Abschnitt zwischen den beiden Schleusen viele kleine Kieselsteine und auch für die Waschbretter gut geeignete, größere Steine getragen haben. Die Kieselsteine wurden von den Steinbrucharbeitern abgetragen und im Häuserbau weiter verwendet.
Obst, Tabak und Wein
Auch ist belegt, dass es am Ufer viele Birnbaum-Plantagen gegeben hat und somit auch der Obstanbau, neben Tabak und Wein, ein lukratives Geschäft war.
Getreide und Hanf
Die vielen, großen Landstriche diesseits und jenseits des Tibers, die früher einmal bewaldet gewesen zu sein schienen, wurden jetzt von Landwirten überwiegend mit Getreide und Hanf bewirtschaftet.
Holzsammler
Dann gab es die meist im Frühjahr oder Herbst aktiven Holzsammler, die von Überschwemmungen mitgerissene Baumstämme im Tiber harpunierten. Dazu benutzten sie einen Haken aus Feldahorn. Die Technik des Holzfangens war die eines „Lassowerfers“. Es gab etwa 10 dieser Holzsammler-Familien in Pretola.
Auf der Website des Ecomuseums (s.u.) kann man diese alte Tradition des Holzsammelns auf einem Video sehen (L´uncinaia, una tradizione anticchissima).
Das eingesammelte Holz wurde an der Luft, aber auch in Öfen (die sich im unteren Bereich des Wachturms befanden) getrocknet und für Warmwasser verwendet, das wiederum den Waschfrauen zum Waschen diente. Es gab in der Gegend von Pretola etwa 400 Waschfrauen.
Fähren
In Ermangelung von Tiber-Brücken, benutzte man Fähren, die eigentlich nichts anderes als ein Floss aus Holz darstellten, auf das gerade mal ein von 2 Ochsen gezogener Karren passte.
Die Einsatzgebiete der Ochsenkarren
Wie bereits oben erwähnt, entstand hier in Pretola mit viel Organisations- und Koordinationstalent ein bewundernswerter Industriezyklus: die Einwohner brachten ihre schmutzige Wäsche zum Stadttor Porta della Pesa (Stadttor der Waage), wo sie zunächst gewogen wurde. Danach markierten die Waschfrauen sie mit einem bunten Baumwollfaden und luden sie auf die von Ochsen gezogenen Karren. Während sie über den Waschfrauen-Weg von Perugia zum Tiber gelangten, fuhren die Karren mit der Wäsche auf einer etwa 4,5 km langen Strasse bis nach Pretola, wo die Waschfrauen sie wieder in Empfang nahmen.
Die jetzt leeren Karren kamen anschließend entweder beim Abbau der Kieselsteine zum Einsatz, wurden mit Obst,Trauben oder Tabakblättern beladen und in die Stadt zurückgeschickt. Oder sie fuhren leer mit der Fähre ans andere Ufer, von wo sie mit Getreide oder Hanf wieder zurückkehrten.
Getreide und Hanf
Das Getreide wurde direkt in der Mühle am Wachturm gemahlen. Aus dem Hanf wurden Wäscheleinen oder Seile und Schnüre geflochten, mit denen wiederum die Ochsen vor die Karren gespannt werden konnten. Seidenspinnereien gab es übrigens auch in Pretola.
Der Wanderweg früher
Der Waschfrauen-Weg von Perugia selbst, il sentiero delle lavandaie, wurde erstmals 1299 erwähnt. Danach benutzten ihn über Jahrhunderte Marktfrauen, die von ausserhalb zu den Märkten in Perugia kamen. Badegäste und Angler kamen über diesen Weg zum Tiber. Aber auch das Militär hielt dort Übungen statt. Und bis 1968 diente er überwiegend den Waschfrauen.
Aber erst 2010-2011konnte der Weg dank lokaler freiwilliger Helfer und mit Unterstützung der Gemeinde Perugia restauriert und wieder begehbar gemacht werden.
Der Wanderweg heute
Leider, leider ist er trotz seines viel versprechenden Namens heute nicht mehr von großem Interesse. Ich kann ihn auch nicht wirklich empfehlen, denn der Waschfrauen-Weg von Perugia (mit Pretola als Startpunkt) geht meistens bergauf, durch langweilige Waldabschnitte oder stellenweise entlang einer uninteressanten, asphaltierten Straße. Man kommt an ein, zwei großen alten Villen und einer sehr alten, noch intakten Olivenmühle vorbei.
In ziemlicher Stadtnähe befindet sich rechts ein nicht mehr gut erhaltener Brunnen, die Fontana Fontenuovo, und der letzte Teilabschnitt ist gefüllt mit Ausbildungsstätten und Schulen aller Art.
Oben am Stadttor Porta della Pesa ist ausser dem Tor selbst auch nichts Besonderes zu sehen ist. Man könnte natürlich einen Abstecher zur nicht weit entfernten Via della Viola im Innern der Stadtmauern Perugias unternehmen, aber für die Besichtigung Perugias sollte man sich eigentlich mehr Zeit nehmen… Man kann auch im Studentencafé (mit Konditorei) Pasticceria 2000 gegenüber des Stadttores einkehren.
Lediglich in Pretola selbst, am Tiber, neben dem Wachturm der einstigen Mühle, wo der Waschfrauen-Weg von Perugia endet, befindet sich ein größeres Schild mit ein paar Erklärungen zur Epoche der Waschfrauen und den erwähnten anderen Berufen.
Das Ecomuseo del Tevere (Tibermuseum)
Absolut sehenswert jedoch ist das Ecomuseum del Tevere in Pretola selbst. Wenn man auf dem Parkplatz vor dem Wachturm parkt, geht man zur Hauptstraße zurück, biegt links ab. Nach wenigen Metern steht man vor der ehemaligen Grundschule (scuola elementare) auf der linken Straßenseite.
Ecomuseo del Tevere (ex-Scuola elementare) – Via Tagliamento, 50 – 06134 Pretola (PG)
Es empfiehlt sich die Öffnungszeiten zu erfragen: +39 334 534 7998
In den einzelnen Etagen und im geräumigen Treppenhaus kann man unglaubliche, gut erhaltene Gegenstände, Bilder, Illustrationen usw. betrachten und sich in die Zeit von damals zurückversetzen. DAS ist wirklich ein faszinierendes Erlebnis.
Die beiden älteren Herren, die euch normalerweise durch das Museum führen würden (einschließlich Videopräsentationen) sind leider nur der italienischen Sprache mächtig, aber ich gehe gerne mit euch mit und übersetze.
Complimenti
Das Schöne ist, dass das gesamte Ecomuseo 2004 ins Leben gerufen wurde und sich seitdem ausschließlich mit Hilfe von Freiwilligen zu einem dynamischen soziokulturellen, wirtschaftlichen und mittlerweile auch juristischen Projekt weiter entwickelt hat. Seit 2013 ist es offiziell von der Region Umbrien anerkannt. Es gibt übrigens auf einem Gebiet von 300 Quadratkilometern entlang des Tibers insgesamt 5 solcher Museen.
Die wirklich gute Website des Ecomuseo del Tevere kann ich sehr empfehlen!
http://www.ecomuseodeltevere.it
Sie vermittelt einen tollen Eindruck über die Zeit der Waschfrauen (lavandaie). Man sieht dort Interviews und Erzählungen von Elda Giovagnoni, der letzten dieser Waschfrauen (sie starb 2015 im Alter von 90 Jahren). Es gibt schöne schwarz-weiße Bilder, Kartenmaterial und Erläuterungen. Es wird sogar ein ganzer Tag bzw. eine Woche, aus dem Leben einer Waschfrau beschrieben.
Auch hier biete ich gerne meine Hilfe an, wir können die Seite gemeinsam besuchen und ich übersetze.
Mein Tipp
Wer vor oder nach dem Besuch des Ecomuseums doch ein bisschen spazieren möchte, dem empfehle ich die Wege entlang des Tibers.